1. Der Kirchenbau des 12. Jahrhundert

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Die evangelische Kirche

Im neuen Lagerbuch der evangelischen Kirchengemeinde zu Ergste, das von Pfarrer WESTHOFF am 26.07.1866 angelegt wurde, beschreibt dieser die durch den Brand vom 28.11.1821 zerstörte Kirche. Unter dem 20.10.1867 berichtet er, daß die Kirche ein Bau des 12. Jahrhunderts gewesen sei und bereits einen Vor-gängerbau gehabt habe. Sie lag an der Stelle, an der heute das Gemeindehaus steht und war von dem Friedhof (Totenhof) der Gemeinde umgeben. Nach einer weiteren Eintragung soll die alte Pfarrkirche ... eine Kreuzkirche mit rundem Thurm ohne besondere architektonische Merkwürdigkeit gewesen sein ..."

Pfarrer WESTHOFF hat diese Beschreibung dem alten Lagerbuch entnommen, das am 24.11.1823 – also kurz nach der Zerstörung der Kirche – angelegt worden war. So dürfen wir annehmen, daß die Angaben über die Gestalt der Kirche zutreffen.

Die erwähnten Bauformen der Kirche und des Turmes sind so außergewöhnlich, daß es notwendig erscheint, ihnen an dieser Stelle nachzugehen.

Der Begriff Kreuzkirche kann nur die Grundrißform des Bauwerks betreffen. Demnach bestand die Kirche aus zwei (etwa) gleich langen Kreuzarmen, die sich rechtwinklig durchdrangen. Dadurch erhielt sie die Form eines Zentral-baues. Während des gesamten Mittelalters bis hinein in die Neuzeit ist dieser Bautypus im Abendland, das als die ihm gemäße Form des Sakralbaues den Landhaustyp entwickelt hat, eine Seltenheit geblieben. Zentralbauten haben durch die Begegnung mit der Ostkirche Eingang in den abendländischen Kulturkreis gefunden. Für die Ergster Kirche könnte das – in Verbindung mit der überlieferten Bauzeit (12. Jahrhundert) – bedeuten, daß die Anregung zu dieser Grundrißform von Kreuzfahrern ausging, die diese Kenntnisse dazu von ihren Reisen mitgebracht hatten. Diese Annahme ist nicht unwahrscheinlich, denn auch der nächstgelegene Zentralbau – die Rundkapelle von Drüggelte an der Möhnetalsperre – datiert aus dem 12. Jahrhundert und ist als Nachbildung des Heiligen Grabes zu verstehen.

Ebenso ungewöhnlich wie die Grundrißform der Kirche ist die Form des Turmes. Wenn auch Rundtürme als schlanke Treppentürme in der romanischen Baukunst häufiger vertreten sind, so ist die Anlage eines runden Einturms – und als solcher ist der Turm der Ergster Kirche, da er als Glockenturm benutzt wurde, anzusehen – eine Seltenheit. Am ehesten mag man in diesem Zusammenhang an die Campanile von San Apollinare in Classe in Ravenna (9. Jahrhundert) denken. So verweisen die Grundrißformen der Kirche und des Turmes auf frühchristliche Bautypen, die durch die Kreuzfahrer nach Mittel-europa übertragen wurden.

Eine Wölbung ist für die Ergster Kirche des 12. Jahrhunderts nicht anzunehmen, so daß wir uns einen flachgedeckten Saalbau vorzustellen haben, dem der Rund-turm lose vorgelegt worden war. Das bestätigt auch die Handskizze eines unbe-kannten Verfassers, die allerdings zu ungenau ist, um nähere Aussagen zuzu-lassen . Erst Grabungsbefunde könnten weitere Auskünfte über den Kirchenbau geben.

Der Hinweis im Lagerbuch, die Kirche sie "ohne besondere architektonische Merkwürdigkeiten" mag im Hinblick auf die Flachdecke und auf das Fehlen einer besonderen Bauplastik erfolgt sein. Die außergewöhnliche Grundriß-gestaltung der Kirche und des Turmes würde die Ergster St.-Johannis-Kirche des 12. Jahrhunderts, wenn die schriftliche Überlieferung zutreffend ist, weit über den gleichzeitigen Kirchenbau des nördlichen Sauerlandes – mit Ausnahme von Drüggelte – hinausheben und ihr einen besonderen architektonischen Rang zuweisen. Gleichzeitig könnte er aber auch ein Hinweis auf die Bedeutung der Kirche – eventuell als Taufkirche – für einen größeren Kirchensprengel sein.

2. Der Neubau der St.-Johannis-Kirche 1824 – 1831

Der Planverfasser für die neue St.-Johannis-Kirche ist FRIEDRICH WILHELM BUCHHOLZ, der am 12.7.1795 in Obermassen bei Unna geboren wurde. Nach dem Architekturstudium an der Bauakademie in Berlin war er zunächst als Baukondikteur für die Bezirksregierung in Arnsberg tätig, in dem sich als Sitz der Königlichen Regierung des Regierungsbezirks Arnsberg nach 1816 eine rege Bautätigkeit entfaltete. Später arbeitete er als Kreisbaumeister in Soest, wo SCHINKEL 1833 seine Verdienste in der Denkmalpflege der alten Hansestadt ausdrücklich hervorhob. In den 40er Jahren wurde er Nachfolger des Regie-rungs- und Baurates CLEMEN bei der Regierung in Arnsberg . Sowohl sein Studium in Berlin wie auch seine Mitwirkung bei den Bauten in Arnsberg weisen ihn als einen Vertreter der SCHINKEL-Schule aus, der dem Klassizis-mus besonders verbunden war. Doch haben seine denkmalpflegerischen Tätigkeiten und auch SCHINKELs Beziehungen zu Neugotik Spuren im Schaffen von BUCHHOLTZ hinterlassen. Etwa gleichzeitig mit der Planung der St.-Johannis-Kirche entstanden seine Entwürfe für die katholische Kirche in Iserlohn (1824/31) und für die Kirchen in Bönen und Kamen.

Baugeschichte

Landbaumeister BUCHHOLTZ erhielt am 12.9.1822 den Auftrag, die Planung zum Kirchenbau am alten Standort vorzunehmen, und lieferte zwei Zeichnungen und die Kostenanschläge am 30.11.1822. Einige Änderungswünsche der Gemeinde wurden von BUCHHOLTZ berücksichtigt, doch dieser abgeänderte Plan bereits für den neuen Standort im Sauerfeld ausgearbeitet. Nachdem sich die Gemeinde zweimal in einer Abstimmung mit knapper Mehrheit für den neuen Standort ausgesprochen hatte, erfolgte am 19.2.1824 der Verding nach einem neuen Kostenanschlag von Bauinspektor NEUMANN, Siegen. Die Vergabe fiel an den Bauunternehmern CHRISTIAN LENZ aus Hückeswagen zu einer Summe von 8.395 Talern. NEUMANN, dem die Bauüberwachung übertragen worden war, hatte zuvor eine Bodenuntersuchung durchgeführt und den Baugrund als tragfähig angesehen.

Die Arbeiten, die schon vor der Grundsteinlegung vom 3.8.1824 begonnen worden waren, sollten nach dem Verdingentwurf Ende 1825 abgeschlossen sein, doch verzögerten sie sich bereits frühzeitig auffallend. Am 3.11.1825 erhielt NEUMANN den Auftrag, die bedenklichen Risse, die sich während des Herbstes 1825 am Turm, an der westlichen Giebelseite und den westlichen Langschiffmauern gezeigt hatten, zu untersuchen. Sein Bericht vom 25.3.1826 besagt, daß sich der Turm um etwa 4 Zoll (10 cm) nach Westen geneigt hatte, ebenso die westliche Giebelwand und die anschließenden Teile der Langhaus-wände. Nach einer neuerlichen Baugrunduntersuchung durch Bauinspektor PLAHSMANN aus Arnsberg im Juni 1826 wurden der bereits 80 Fuß (ca 25 m) hohe Turm, die Giebelwand und die Längswände bis zu den westlichen Fernstern niedergelegt und mit vertieften und breiteren Fundamenten sowie umfangreichen Substruktionsarbeiten unter den westlichen Langwänden (Bögen u.ä.) neu aufgeführt. Ende Mai 1827 waren diese Bauteile bis zum Gesims neu erstellt.

Eine weitere Bauverzögerung trat durch die Neigung der Langwände um 3 Zoll (7,5 cm) zum Kircheninneren ein. Sie wurden nach längerem Streit für unbe-denklich erklärt und die Dachkonstruktion des Kirchenschiffs noch Ende des Jahres 1827 fertiggestellt. Dennoch konnte der Bau nicht mehr vor Beginn des Winters eingedeckt werden. Im Laufe des Jahres 1828 – genauere Baudaten sind nicht mehr überliefert – scheint die Kirche baulich vollendet worden zu sein. Doch stellte der Landrat des Kreises Iserlohn, MÜLLENSIEFEN, am 18.6.1829 fest, daß die Anfertigung der Kirchenbänke noch etwa zwei Monate in Anspruch nehmen dürfte. Warum der Bau erst im Oktober 1830 so weit gediehen war, daß die Gemeinde die technische Abnahme durch Bauinspektor PLAHSMANN beantragen konnte, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Wir dürfen hier Schwierigkeiten in der Finanzierung annehmen, die durch die unvorherge-sehenen Mehrkosten beim Abbruch und Wiederaufbau der westlichen Bauteile aufgetreten waren. Der gleichzeitig von der Gemeinde ebenfalls durch LENZ errichtete Schulbau kostete noch einmal 1.743 Taler. Der Wunsch der Gemeinde, die Kirche am 28.11.1830 – neun Jahre nach der Zerstörung – einweihen zu können, ging nicht in Erfüllung. Das Revisionsprotokoll wurde ihr erst am 9.1.1831 zugestellt und die Einweihung am 12.2.1831 vollzogen .

Der nach den Wünschen der Gemeinde abgeänderte Plan ist ohne größere Abweichungen ausgeführt worden. Für eine geringfügige Vergrößerung der Sakristei wurden dem Bauunternehmer LENZ 25 Taler zugestanden. Bisher konnte die Verteilung der Mehrkosten, die durch Niederlegung und Wiederaufbau der westlichen Bauteile entstanden waren, nicht geklärt werden. Der Kirchenbau soll statt der Verdingsumme von 8.395 Talern, zu der noch 600 Taler für mehrere Änderungen und 60 Taler für den Abbruch der alten Kirche hinzugerechnet werden müssen, 20.000 Taler gekostet haben. Nicht eingerechnet darin waren die kostenlosen Hand- und Spanndienste, die die Gemeindemitglieder entsprechend ihrem Besitz zu leisten hatten.

Der Innenraum

Der Besucher betritt die Kirche durch das rundbogige Turmportal und den langrechteckigen, flachgedeckten Vorraum des Turmes. In dem schlichten Saalraum von 45,5 x 32 Fuß (14,38 x 10.05 m) ist an der Westseite die 5,30 m tiefe Orgelempore eingebaut. Ihre Tiefe betrug bis 1965 etwa 3,50 m. Dadurch öffnete sich dem Eintretenden der Kirchenraum in eindrucksvollerer Weise, als das heute der Fall ist, da ihm die weit vorgezogene Empore den Blick nach oben verlegt. Im Osten ist dem Gemeinderaum der Chor vorgelegt. Er ist gegenüber dem Kirchenschiff nur wenig eingezogen und öffnet sich in 8,20 m Breite weit zum Kirchenschiff. Dem aus fünf Seiten eines Achtecks gebildeten Chor ist im Chorscheitel die Sakristei angeschoben, die die Grundrißform des Chores noch einmal aufnimmt und den kleinen achtseitigen, quergerichteten Sakristeiraum (2,65m x 3,40 m) birgt (Abb. 1). Drei spitzbogige, hohe und schmale Fenster belichten auf jeder Seite das Kirchenschiff, während jede Schrägseite der Absis von einem Fenster in den gleichen Abmessungen durchbrochen wird.

 

In 8,50 m Höhe wird das Kirchenschiff von einer Flachdecke überspannt, zu der auf den beiden Langseiten und an der westlichen Schmalseite etwa 870 cm hohe Kehlen emporschwingen. Ihre Höhe verleiht der Decke fast den Charakter eines Spielgewölbes und gibt dem Raum einen leicht barockisierenden Zug. Die Ausbildung der Kehle erfolgte erst in jüngerer Zeit im Zusammenhang mit der Erneuerung der Heizung. Bei den gleichen Baumaßnahmen wurde die Chordecke um die Höhe der Kehle niedriger gelegt. Der geputze Raum blieb bis zu seiner farbigen Ausmalung im Jahre 1895 durch den Kirchenmaler JOHANN HOFFMANN aus Werl weiß getüncht. Ebenso wie die Gedächtnistafel für die Gefallenen des ersten Weltkrieges mit einem umgebenden Gemälde des Kirchenmalers BERG, Dortmund, das 1921 an der Südwand erstellt wurde, ist diese Ausmalung 1949/52 übertüncht worden. Heute weist der Innenraum wieder seine ursprüngliche weiße Ausmalung auf. Auch die 1926 durch die Hasper Glashütte eingebrachte Farbige Verglasung ist 1949/52 durch das Einbringen des vierbahnigen hölzernen Maßwerks wieder dem ursprünglichen Zustand angenähert worden. Seine Vertikalstäbe bilden im Bogenbereich lanzettförmige Spitzbögen aus.

Der Chorraum zu dem eine Stufe emporführt, ist gegenüber dem Kirchenschiff in Breite und Höhe nur wenig verkleinert. So bietet das Innere der St.-Johannis-Kirche das Bild eines Einraumes, in dem Kirchenschiff und der Chor zu einer Einheit verschmelzen (Abb. 2). Die nachhaltigste Änderung hat das Raumbild durch die Aufmauerung der Fensterbrüstungen 1949/52 um 1,85m und die Beseitigung des Kanzelaltars 1946, der im Chorscheitel gestanden hat, erfahren. Besonders die Abtragung des Kanzelaltars (Abb. 2) ist in bau- und kulturgeschichtlicher Hinsicht ein schmerzlicher Verlust. Seine Ausführung muß für den westfälischen Raum als eine Rarität angesehen werden. Auf der anderen Seite verkörperte er die Idee des evangelischen Kirchenraumes durch die Verbindung von Opfer und Verkündigung des Wortes in besonderer Weise. In der klaren Innenraumgestaltung der St.-Johannis-Kirche, die den Gesetzen der klassizistischen Architektur folgte, fand er seine adäquate Raumform.

Der Außenbau

Das Äußere des Kirchenschiffs und des Chores wird durch die breiten, aber flachen Strebepfeiler an den Gebäudeecken und in den Drittelspunkten der Langwände bestimmt. Die Beseitigung ihrer über die Traufe hinausragenden Aufsätze (1949/52) und die Verkürzung der Fenster lassen die ursprüngliche Vertikaltendenz heute nur noch in geringem Maße erkennen (Abb. 3). Nach der Entfernung der Strebepfeileraufsätze bildet das Turmportal mit seinem Gewände aus Doppelstabpfosten und der doppelkehligen Archivolte die einzige Schmuckform des Baues. Seine früher vorhandenen Dekorformen aus Sandstein – den waagerechten Türsturz mit dem stützenden Mittelpfeiler und den beiden Spitzbögen in der Lünette – hat es durch Bauänderungen verloren. Damit sind wesentliche Detailformen des Mittelalters, die BUCHHOLTZ in die Architektur einbrachte, nicht mehr vorhanden. In ihnen mischte sich klassizistischer Zeit-geist mit dem wiederentdeckten Mittelalter. Die mittelalterlichen Detailformen gaben dem Bau jenen Charakter, an dem das Zeitalter der Romantik ablesbar ist.

Durch einen Anbau zwischen dem nördlichen Westgiebel und dem Turm (1929) wird das Bild des Baukörpers an der Nord- und Westseite gestört. Um so erstaunlicher ist der Blick von Südosten: Die hintereinander gestaffelten und voneinander abgesetzten Baukuben ergeben ein überraschend malerisches Bild, in welchem der Turm einen signifikaten Abschluß bildet (Abb. 4). Das bis 1950 vorhandene Schieferdach muß mit dem mittelgroßen Bruchsteinmauerwerk das Gesamtbild wirkungsvoll unterstützt haben. Über dem niedrigen Sockel erscheint der schmucklose Außenbau mit seiner geminderten Vertikalisierung heute noch gedrungener als in seinen ursprünglichen Formen. Der von Ecklisenen begleitete und mit einer achteckigen Helmpyramide gekrönte Turm ordnet sich in dieses Bild ein. So ergibt sich ein optisch klar faßbarer Außenbau, dessen gedrungene Formen durch die Staffelung und Reihung der verschiedenen Baukörper eine gewisse Lockerung erfahren.

Trotz nicht zu verleugnender neugotischer Detailformen entspricht der Bau den Klassiszistischen Architekturidealen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahr-hunderts in romantischer Weise mit mittelalterlichen Bauelementen gekoppelt wurden. Der Gedanke des Klassizismus, den Kirchenbau zu einem beherrschen Punkt innerhalb des Siedlungsgefüges zu gestalten, ist von den später errichteten Bauten respektiert worden: Die St.-Johannis-Kirche überragt mit ihren wuch-tigen Formen die umgebende Bebauung und ist ein weithin sichtbarer Fixpunkt über dem weiten Tal der Ruhr.

Die Finanzierung des Kirchenbaues

Weder die dem neuen Lagerbuch entnommene Summe von 20.000 Taler, die der Kirchenbau gekostet haben soll, noch seine Finanzierung sind exakt nachweisbar. Die Angaben differieren und sind z. T. widersprüchlich. Dennoch dürfen einige Finanzmittel als sicher angenommen werden. Sie seien hier in Kürze wiedergegeben.

Am 18. 1. 1827 spezifizierte die Baudeputation der Kirchengemeinde die zur Verfügung stehenden Mittel:

Kollektengelder 3.450 T.

Kollekte, die der König von Preußen genehmigt hatte

Gelder aus der Feuerversicherung für die zerstörte Kirche 1.600 T.

Geschenk des Gutsherrn Niederweisched 769 T. 7 Sgr.

Geschenk der Geschwister Niederweisched 76 T. 27 Sgr. 8 Pf.

Gelder aus dem Kirchenkapitalfonds des Fürsten zu

Bentheim-Tecklenburg 727 T. 23 Sgr. 1 Pf.

Die von dem Landrat des Kreises Iserlohn, MÜLLENSIEFEN, am 2.4.1827 geführte Verhandlung, die die zerstrittene Gemeinde einigen sollte, führte zu dem Ergebnis, daß ein Defizit von 2.738 T. 3 Sgr. 4 Pf. durch folgende Gelder gedeckt werden sollte:

Eine Umlage auf die Grund- und Kommunalsteuern 900 T.

Durch Verkauf der Kirchensitze 1.200 T.

Durch eine Anleihe 600 T.

Der Verkauf der Kirchensitze, der nicht hätte durchgeführt werden dürfen und nur aus akuten Finanzierungsschwierigkeiten zu erklären ist, war am 16. 12. 1829 abgeschlossen. Erstaunlich bleibt, daß die Bezirksregierung in Arnsberg diesen Verkauf zuließ, da er nicht rechtens war. Es ist zu vermuten, daß auch sie keinen Ausweg mehr sah, die durch den Abbruch der westlichen Bauteile gestiegenen Kosten zu decken. Diese Annahme ist nicht abwegig, da der von ihr beauftragte Bauinspektor NEUMANN ein unzulängliches Bodengutachten erstellt hatte. Wenn Baurat CLEMEN ihn in einer Untersuchung für schuldlos erklärte, mag das in dem Sinne geschehen sein, den Fiskus von Regreßan-sprüchen freizuhalten. Auch die Genehmigung der Regierung Arnsberg vom 4.12.1826, dem Baufonds 425 Taler (= 75 Pistolen) aus dem Armenfonds der Kirchengemeinde zinsfrei für 15 Jahre zur Verfügung zu stellen, muß in diesem Zusammenhang gesehen werden. Dieses Geld wurde im Jahre 1873, als die politische Gemeinde die Herausgabe des gesamten Armenvermögens beanspruchte, der Kirchenkasse geschenkt.

Der Kanzelaltar der St.-Johannis-Kirche

Auf die kulturgeschichtliche und regionale Bedeutung des Kanzelaltars ist bereits im Rahmen der baugeschichtlichen Beschreibung verwiesen worden. Da seine Formgebung und seine Detailausbildung von anderen Kanzelaltären z.T. erheblich abweichen soll sein Aufbau an dieser Stelle untersucht werden.

Der aus vier Einzelelementen bestehende Altar war dreigeschossig gegliedert (Abb. 3). Über einem einstufigen Podest erhob sich die Mensa, darüber – ohne Predella – das Retabel, das von der sechsseitigen Kanzel bekrönt wurde. Über ihr schwebte als viertes Element der Schalldeckel. Der gesamte Altar bestand aus Holz und hatte eine geringe Breite von etwa 2,20 m. Seine Höhe bis zur Krone der Kanzel betrug etwa 3,20 m. In etwa 4,50 m Höhe wurde der Aufbau durch den Schalldeckel beendet. Die Kanzel war über eine Wendeltreppe in der Sakristei zu erreichen. Der Zugang vom Obergeschoß der Sakristei im Scheitel des Chores war spitzbogig und ist heute vermauert. Seine Größe ist an den Putzrissen ablesbar. Hinter ihm fiel durch das spitzbogige Sakristeifenster Licht in den Kirchenraum.

Im Dekor werden die Ecken von klassizistischen Details gebildet, die gotische Elemente rahmen. In der Mensa reihen sich Spitzbogen zwischen schmalen, hohen Rauten. Das dreigeteilte Retabel wird von schlanken Ecksäulen gefaßt, die einem Tafelgemälde des segnenden Christus wird von einem Rundbogen überfangen. Rechts davon sind unter einem –Spitzbogen auf einem Schriftband die Worte "kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen sei ..." zu lesen. Auf der linken Seite findet sich der Hinweis auf das Gemälde "Jesus Christus gestern, heute und derselbige auch in Ewigkeit". Alle drei Felder werden von einem Fries überdeckt, dessen Rautenzug mit spitzbogigen Vierpässen ausgesetzt ist.

In gleicher Weise ist die Kanzel gestaltet, deren Ecken wiederum vom klassizistischen Säulen auf Basen mit Rautenzier gebildet werden. In die Felder ist ein Spitzbogenfeld eingeblendet, das mit einer gotischen Doppelarkade ausgesetzt ist, die einen Dreipaß trägt. Der abschließende Schalldeckel erhielt durch einen durchbrochenen Lilienfris, hinter dem das konkav geneigte Dache sichtbar wurde, seinen Abschluß.

In den Spitzbogenfeldern der Mensa sind aufgemalte Blumen erkennbar. Das entspricht nicht der klassizistischen Grundhaltung des Altars. Hier darf, wie auch in der farbigen Gesamtgestaltung, ein späterer Farbauftrag angenommen werden.

Die hochgerichteten Rauten des Altars finden sich an den Kirchenbänken und der Emporenbrüstung wieder. Deshalb ist die Annahme gerechtfertigt, daß der Entwurf zu diesen Ausstattungsgegenständen in einer Hand lag. Da die Kirche selbst ebenfalls in ihrer klassizistischen Grundhaltung gotische Detailelemente einschließt, ist es naheliegend, die Gestaltung des Altars und der Brüstungs-glieder Landbaumeister BUCHHOLTZ zuzuschreiben.

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Quelle: Alewelt, Dr.-Ing, Norbert, Iserlohn. 150 Jahre Einweihung der St. Joh. Kirche Ergste, Ergste, 1981.