"Anno 1607 den 27 Sept" baute Henrich Teiner genannt Degenhardt sein kleines Haus neben dem großen "Kagen-Gut", auch Hugenhof oder Hövelmann genannt in Ergste in der Grafschaft Limburg. Wer Henrich war läßt sich heute nicht mehr feststellen. Wir wissen nur, dass er zum Zeitpunkt des Hausbaus unverheiratet war, denn die Inschrift auf dem Hausbalken bezeichnet ihn als "Jungergesell". Wir wissen auch nicht, ob das "Teiner" auf dem Balken vielleicht "Tüner" heissen könnte. Man kann nur sagen, das kleine Haus gehörte zu dem großen Hof, als Heuerlingshaus bzw. Kötterhaus oder vielleicht auch zeitweise als Altenteil.

Im Jahr 1654 wird Degenhardt in einem Abgabenverzeichnis mit zwei weiteren Köttern gemeinsam als 1 ½ Kotten bezeichnet, also ein sehr kleines Anwesen.

Im Jahr 1607 als Henrich sein Haus baute, erscheint ein Komet, der mit großer Wahrscheinlichkeit der Komet war, der später den Namen "Halleyscher Komet" tragen sollte. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation regierte Kaiser Rudolf II., die Engländer gründeten ihre erste Kolonie in Nordamerika, das Heidelberger Schloss wurde fertiggestellt und Paul Gerhard wurde geboren. Von all dem wird kaum etwas Henrich oder Ergste berührt haben.

Die nächsten Jahrzehnte waren erfüllt vom Rauben und Morden des 30-jährigen Krieges.

Als im Jahr 1682 der Halleysche Komet nach 76 Jahren wieder erscheint, steht Henrichs Häuschen in Ergste noch. Wer es zu dieser Zeit bewohnt ist unbekannt. In diesem Jahr wird die französische Hauptstadt von Paris nach Versailles verlegt, Leopold I. ist Kaiser und in Russland herrscht Peter der Große als Zar.

Gute und schlechte Zeiten gehen über das kleine Haus und das Dorf Ergste hin.

Ende des Jahres 1758 erscheint der Halleysche Komet wieder. Nun ist Franz I. Stephan Kaiser, in Preussen ist Friedrich der Große an der Regierung, der französische Revolutionär Maximilien de Robespierre und der englische Admiral Horation Nelson werden geboren, nur wer im kleinen Haus in Ergste lebt, wissen wir nicht.

 

Die Zeiten sind immer noch kriegerisch. Als 1834 der Halleysche Komet wieder erscheint, ist die Napoleonische Ära bereits Geschichte, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ist verschwunden auch die Grafschaft Limburg gibt es nicht mehr, aber - unser Häuschen steht immer noch. In Preussen regiert jetzt König Friedrich Wilhelm II., Friedrich Emil Rittershaus, der Verfasser des Westfalenliedes und Gottlieb Daimler werden geboren. Es stirbt Johann Heinrich Karl Hengstenberg, deutscher Kirchenliederdichter, dessen Ahnen aus Ergste stammen.

Als 1910 der Halleysche Komet wieder seine Bahn an der Erde vorbei zieht, hat sich die Welt gewaltig durch die Industrialisierung verändert, überall gärt es, es wird gestreikt und demonstriert, aber das kleine Haus steht immer noch, es hat jetzt schon über 300 Jahre Menschen Schutz und Heimat gegeben, es ist sicher schon etwas altersschwach, aber noch bewohnbar. Deutschland ist Kaiserreich und wird von Wilhelm II. regiert, der gleichzeitig König von Preussen ist.

1986, einige werden sich noch erinnern, kommt der Halleysche Komet wieder auf seiner Bahn an der Erde vorbei. Zwei Kriege haben die Welt erschüttert. Wir leben im Zeitalter der Raumfahrt, es gibt die EG, Michail Gorbatschow spricht von "Glasnost", die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl setzt die westliche Welt in Angst.

Aber was ist mit dem kleinen Haus geschehen? Es war verwahrlost, drei Jahre unbewohnt und sollte abgerissen werden. Das kleine Haus erstrahlt in neuem Glanz, es ist von Grund auf restauriert. Der neue Besitzer Dr. J. von Hirsch hat es so herrichten lassen und bewohnt es nun.

Das kleine Haus ist auch nach 400 Jahren wieder mit Leben erfüllt und es ist zu hoffen, dass es 2061, wenn der Komet Halley wieder an der Erde vorbei zieht, immer noch steht.

Ergste, September 2007

Roswitha Bliese